Dissertationsprojekt Lars Friedhoff

AG Didaktik der Mathematik (Sekundarstufen)

Aspekte funktionalen Denkens in der anwendungsbezogenen Mathematikbildung auf Tertiärstufe

Ähnlich wie in Deutschland (Wolter et al., 2013) ist in der Schweiz der Übergang an die Hochschule im Bereich der naturwissenschaftlichen und technischen Studiengänge eine ernstzunehmende Hürde. Das zeigt sich in hohen Studienabbruchquoten im ersten Studienjahr. Der am häufigsten genannte Grund für den Abbruch sind Leistungsprobleme in den Eingangsmodulen (Neugebauer et al., 2019).

An der Hochschule für Life Sciences (HLS) der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHWN) hat sich diese Tendenz in den letzten Jahren durch überdurchschnittlich hohe Durchfallquoten im Modul „Grundlagen der Mathematik – Analysis I“ ebenfalls bestätigt.
Inhaltlich werden in dem Modul neben arithmetischen Grundlagen überwiegend funktionale Zusammenhänge gelehrt. Auf Schwierigkeiten im Umgang mit Funktionen während der Schulzeit oder dem Studium wurde mehrfach hingewiesen (Carlson et al., 2002; Nitsch, 2015). Studierende in naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen müssen neben mathematischen Fähigkeiten im Umgang mit Funktionen weitere kontextspezifische Fähigkeiten erwerben, um funktionale Abhängigkeiten in Anwendungskontexten vollständig zu erfassen, wodurch für die Lernenden weitere Anforderungen entstehen. In der Reaktionskinetik, ein Teilgebiet der physikalischen Chemie, in dem Funktionen und vielfältige mathematische Darstellungen zum Modellieren verwendet werden, wurde bereits auf die Probleme der Studierenden auf mathematischer Ebene und bei den Verknüpfungsprozessen von mathematischem und chemischem Wissen hingewiesen (Rodriguez et al., 2019).

Ursächlich für die Schwierigkeiten wird oft ein fehlendes konzeptuelles Verständnis funktionaler Zusammenhänge genannt. Zu einem konzeptuellen Verständnis funktionaler Zusammenhänge gehören nach Vollrath (1989) drei Aspekte, die „typisch für den Umgang mit Funktionen [sind]“ und damit das funktionale Denken.

  • Der Aspekt der Zuordnung betont die eindeutige Zuordnung einer unabhängigen Größe auf eine ihr abhängigen Größe.
  • Mit dem Aspekt der Kovariation (vgl. Malle, 2000) wird das Änderungsverhalten einer Funktion fokussiert. Fragen, wie sich eine Veränderung der unabhängigen Größe auf die Veränderung der abhängigen Größe auswirkt, werden thematisiert.
  • Der Aspekts Funktion als Ganzes soll der funktionale Zusammenhang als Ganzes betrachtet werden, also nicht mehr einzelne Wertepaare, sondern die Gesamtmenge aller Wertepaare. Dadurch wird die Funktion zu einem neuen Objekt, welches manipuliert werden kann.

Beim Erlernen funktionalen Denkens wird häufig der Zuordnungsaspekt, der in den meisten Definitionen verdeutlicht wird, fokussiert. Allerdings wird vermehrt darauf hingewiesen, den Kovariationsaspekt stärker zu berücksichtigen, welcher „für das praktische Arbeiten mit Funktionen … [als] unentbehrlich“ (Malle, 2000, S. 8) bezeichnet wird.

Darüber hinaus ist es für ein ausgeprägtes konzeptuelles Verständnis notwendig, funktionale Zusammenhänge in verschiedenen Darstellungsformen (meistens: Wertetabelle, Funktionsgraph, Funktionsterm, verbale Beschreibung) zu erfassen und flexibel zwischen diesen Darstellungen wechseln zu können.

Auf die Frage wie man funktionales Denken fördern kann, hat Lichti (2019) in ihrer Dissertation den Nutzen digitaler Simulationen gegenüber Realexperimenten untermauert. Durch die einfache Variation der beteiligten Größen in den Simulationen wurde der Kovariationsaspekt leichter zugänglich, wodurch die Lernenden anschließend häufiger Begründungen formulieren konnten, die den Kovariationsaspekt beinhalten. Von den verschiedenen Darstellungsformen hat sich der Funktionsgraph als besonders lerneffizient gezeigt (Rolfes et al., 2021).

Darauf aufbauend wurde eine digitale Lernumgebung aus aufeinander aufbauenden Aufgaben, die den Konzentrationsverlauf bei verschiedenen chemischen Reaktionen analysieren, und passenden GeoGebra Applets entwickelt. Die Konstruktion der Aufgaben und Applets soll die Auseinandersetzung mit dem Funktionsgraphen und dem Kovariationsaspekt anregen.
Die Lernumgebung wird in das Modul "Grundlagen der Mathematik – Analysis I" in dem Kapitel "Funktionen" an der HLS implementiert. Mithilfe eines Prä-Posttest Kontrollgruppendesign sollen zunächst quantitative Unterschiede in den Lernzuwächsen erfasst werden. Anschließend werden die schriftlichen Abgaben der Studierenden geleitet durch die Methodik einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht, um Einblicke in die Verwendung der drei Aspekte funktionaler Zusammenhänge und Übersetzungsprozesse mathematischer und chemischer Wissensinhalte zu erhalten.

Literatur

Carlson, M., Jacobs, S., Coe, E., Larsen, S., & Hsu, E. (2002). Applying Covariational Reasoning While Modeling Dynamic Events: A Framework and a Study. Journal for Research in Mathematics Education, 33(5), 352.

Lichti, M. (2019). Funktionales Denken fördern: Experimentieren mit gegenständlichen Materialien oder Computer-Simulationen. Springer Spektrum.

Malle, G. (2000). Zwei Aspekte von Funktionen: Zuordnung und Kovariation. Mathematik lehren, 103, 8–11.

Neugebauer, M., Heublein, U., & Daniel, A. (2019). Studienabbruch in Deutschland: Ausmaß, Ursachen, Folgen, Präventionsmöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22(5), 1025–1046.
https://doi.org/10.1007/s11618-019-00904-1

Nitsch, R. (2015). Diagnose von Lernschwierigkeiten im Bereich funktionaler Zusammenhänge: Eine Studie zu typischen Fehlermustern bei Darstellungswechseln. Springer Fachmedien Wiesbaden.
https://doi.org/10.1007/978-3-658-10157-2

Rodriguez, J.-M. G., Bain, K., Towns, M. H., Elmgren, M., & Ho, F. M. (2019). Covariational reasoning and mathematical narratives: Investigating students’ understanding of graphs in chemical kinetics. Chemistry Education Research and Practice, 20(1), 107–119.
https://doi.org/10.1039/C8RP00156A

Rolfes, T., Roth, J., & Schnotz, W. (2021). Mono- and Multi-Representational Learning of the Covariational Aspect of Functional Thinking. Journal for STEM Education Research.
https://doi.org/10.1007/s41979-021-00060-4

Vollrath, H.-J. (1989). Funktionales Denken. Journal für Mathematik-Didaktik, 10(1), 3–37.
https://doi.org/10.1007/BF03338719

Wolter, S. C., Diem, A., & Messer, D. (2013). Studienabbrüche an Schweizer Universitäten.
https://doi.org/10.25656/01:8697