Erfassung diagnostischer Fähigkeiten von Geographielehrkräfte im Bereich des systemischen Denkens

Eine qualitative Analyse auf Basis von Videovignetten


Stand der Forschung

Systemisches Denken wird heutzutage durch die zunehmende internationale Studienzahl (z. B. Ben-Zvi Assaraf, Orion 2005; Verhoeff et al. 2008; Mehren et al. 2015) und normativ-politischen Schriften (z. B. National Research Council 2012) als essenziell betrachtet. Für das systemische Denken exisitieren empirisch untersuchte Kompetenzmodelle, die das Outcome der Lernenden abbilden (z. B. Riess 2013; Mehren, Rempfler 2022), jedoch bleibt der Lernprozess offen. Dazu können die „Habits of a System Thinker“ (Benson, Marlin 2017) als Hilfe fungieren, da sie durch leicht einprägsame Sätze vermitteln, wie sich gute Systemdenkende verhalten. Einige Studien wiesen diese oder ähnliche kognitiven Strategien beim Bearbeiten der Mystery-Methode nach (Leat, Nichols 2000; Meister 2019; Karkdijk et al. 2021). Generell kann jedoch festgestellt werden, dass Lernende und Erwachsene ohne adäquate Förderung eher ein schwach ausgeprägtes Systemverständnis besitzen (z. B. Ben-Zvi Assaraf, Orion 2005; Li, Li 2023). Zur adäquaten Förderung der Lernenden benötigen Lehrkräfte prozessdiagnostische Fähigkeiten, definiert durch die Vorgehensweise der Urteilsbildung. Diese fokussieren überwiegend Lernprozesse von Lernende und ermöglichen, Kompetenzen differenziert zu diagnostizieren (Aufschnaiter et al. 2020). Trotz der hohen Relevanz der Prozessdiagnosen wurden diese im Kontext des systemischen Denkens bislang kaum untersucht.

Zielsetzung und Fragestellung

Ausgehen von diesem Desiderat stellt die Studie eine Ist-Analyse der prozessdiagnostischen Fähigkeiten - inklusive der Förderung - im Bereich des systemischen Denkens von Geographielehrkräften dar:

  1. Aufwasachten Lehrkräfte beim Diagnostizieren im Bereich des systemischen Denkens?
  2. Wie gelangen Lehrkräfte zu ihrem diagnostischen Urteil?
  3. Welche Qualität (Stärken und Defizite) weist das diagnostische Urteil von Lehrkräften im Kontext des systemischen Denkens auf?
  4. Inwieweit verändert ein theoretischer Prompt das diagnostische Urteil von Lehrkräften?
  5. Welche Erkläransätze können zu Unterschieden von diagnostischen Urteilen generiert werden (Hinweise auf potenzielle Einflussfaktoren)?

Forschungsdesign

Ausgangspunkt des qualitativ-explorativen Forschungsdesigns bilden Videovignetten, die als Erhebungsanlass fungieren (Scholten et al. 2020; Bienert 2021) und auf Videodaten einer Vorläuferstudie zur Mystery-Methode basieren (Meister 2019). In zwei Erhebungen analysieren die Lehrkräfte die Videos in Duos, sodass die diagnostischen Fähigkeiten in einem kommunikativen Aushandlungsprozess offengelegt werden. Dazwischen findet ein Prompt zum systemischen Denken und zur Diagnostik als Hilfestellung zur Explizierung bereits vorhandenen Wissensbeständen statt. Beide Erhebungen werden qualitativ inhaltsanalytisch nach Kuckartz, Rädiker (2022) ausgewertet.

Literatur

Aufschnaiter, C. von, Theyßen, H., Krabbe, H. (2020): Diagnostik Und Leistungsbeurteilung Im Unterricht. In: Kircher, E., Girwidz, R., Fischer, H. E. (Hrsg.): Physikdidaktik | Grundlagen. Berlin, Heidelberg, 529 - 571.

Benson, T., Marlin, S. (2017): The Habit-Forming Guide to Becoming a Systems Thinker. Pittsburgh.

Ben-Zvi Assaraf, O., Orion, N. (2005): Development of System Thinking Skills in the Context of Earth System Education. In: Journal of Research in Science Teaching 42, Heft 5, S. 518–560.

Bienert, N. (2021): Videogestützte Lernprozessanalyse Der Anbahnung Basiskonzeptionellen Denkens Am Beispiel Des Erweiterten Raumverständnisses. Dissertation. Gießen, Justus-Liebig-Universität Gießen.

Karkdijk, J., van der Schee, J., Admiraal, W. (2021): Strategies Used by Small Student Groups to Understand a Geographical Mystery. In: Journal of Research and Didactics in Geography 10, Heft 1, S. 5–21.

Kuckartz, U., Rädiker, S. (2022): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung: Grundlagentexte Methoden. Weinheim, basel.

Leat, D., Nichols, A. (2000): Brains on the Table: Diagnostic and Formative Assessment Through Observation. In: Assessment in Education: Principles, Policy & Practice 7, Heft 1, S. 103–121.

Li, R., Li, G. (2023): Exploring Lower-Secondary School Students' Systems Thinking Performance in Ecological Issue. In: Journal of Baltic Science Education 22, Heft 5, S. 865–880.

Mehren, R., Rempfler, A. (2022): Assessing Systems Thinking in Geography. In: Bourke, T., Mills, R., Lane, R. (Hrsg.): Assessment in Geographical Education: An International Perspective. Cham, S. 31–54.

Mehren, R., Rempfler, A., Ulrich-Riedhammer, E.-M., Buchholz, J., Hartig, J. (2015): Validierung Eines Kompetenzmodells Zur Geographischen Systemkompetenz. In: Gryl, I., Schlottmann, A., Kanwischer, D. (Hrsg.): Mensch:Umwelt:System. Theoretische Grundlagen Und Praktische Beispiele Für Den Geographieunterricht. [Erscheinungsort nicht ermittelbar], S. 61–82.

Meister, J. (2019): Eine Videogestützte Prozess- Und Produktanalyse Der Systemkompetenz - Am Beispiel Der Bearbeitung Eines Mysterys. Dissertation. Gießen, Justus-Liebig-Universität Gießen.

National Research Council (2012): A Framework for K-12 Science Education. Practices, Crosscutting Concepts, and Core Ideas. Washington, DC.

Riess, W. (2013): Bildung Für Nachhaltige Entwicklung (BNE) Und Förderung Des Systemischen Denkens. In: Anliegen Natur 35, S. 55–64.

Scholten, N., Höttecke, D., Sprenger, S. (2020): How Do Geography Teachers Notice Critical Incidents During Instruction? In: International Research in Geographical and Environmental Education 29, Heft 2, S. 163–177.

Verhoeff, R. P., Waarlo, A. J., Boersma, K. T. (2008): Systems Modelling and the Development of Coherent Understanding of Cell Biology. In: International Journal of Science Education 30, Heft 4, S. 543–568.

Ulrich-Riedhammer, E.-M. (2017). Ethisches Urteilen im Geographieunterricht. Theoretische Reflexion und empirisch-rekonstruktive Unterrichtsbetrachtung zum Thema „Globalisierung“. Selbstverlag HGD.

Promotionsprojekt

Annabelle Koch

Betreuung

Rainer Mehren

(Universität Münster)