Systemisches Denken ist ein wesentlicher Baustein der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Die UNESCO (2017) betont ausdrücklich, dass Lehrerinnen und Lehrer selbst zum systemischen Denken fähig sein müssen, um diese Kompetenz bei Schülerinnen und Schülern fördern zu können.
Systemisches Denken bietet im Sinne einer überfachlichen Qualifikation Konzepte, Werkzeuge und Haltungen, die interdisziplinäres Arbeiten, fächerübergreifende Unterrichtseinheiten und Projekte erleichtern. Diese Ansätze können in vielfältigen fachlichen und übergreifenden Kontexten genutzt werden.
PISA und Bildungsstandards fordern die Fähigkeit von Schülerinnen und Schülern, Probleme in variablen Situationen zu lösen. Systemisches Denken stellt Methoden und Werkzeuge bereit, die zur nachhaltigen Bearbeitung komplexer Probleme geeignet sind und bereits von Schülerinnen und Schülern der Primarstufe erlernt und genutzt werden können.
Die Berufspraxis von Lehrkräften erfordert kompetentes Handeln in komplexen Situationen. Der Lehrberuf zeigt deutlich, dass der Umgang mit Komplexität im Studium nur in Ansätzen erlernt werden kann. Eine Lehrperson ist in ihrem Kerngeschäft eine lehrende Person, ein Lernbegleiter und Berater für Schülerinnen und Schüler. Gleichzeitig ist sie Ansprechperson für Eltern, Mitarbeitende im Schulhausteam, Angestellte an einer Schule, Beamtin und vieles mehr. Im Alltag ist es nicht möglich, in dieser Komplexität alle Handlungen bewusst zu reflektieren – vieles basiert auf Intuition, Handlungsroutinen und Mustererkennung. Systemisches Denken mit seinen Konzepten, Werkzeugen und Haltungen bietet Hilfe, wiederkehrende unangenehme oder schwierige Situationen zu analysieren, eingefahrene Denkmuster zu durchbrechen und die Reaktionen der Umgebung auf das eigene Handeln besser zu verstehen und zu verändern. Diese Konzepte, Instrumente und Haltungen müssen jedoch bekannt sein und eingeübt werden, um sie wirkungsvoll einsetzen zu können.
Im schulischen Unterricht werden Kinder und Jugendliche vorwiegend im analytischen Denken geschult. Das ist hilfreich, um sich in der Welt zurechtzufinden und komplizierte Probleme zu bewältigen. Vielen fehlt jedoch das ergänzende systemische Denken mit seinen Werkzeugen und Haltungen, um komplexe Probleme nachhaltig zu bewältigen.
Die Vermittlung von systemischem Denken im Unterricht wird immer notwendiger, da Schulen den Auftrag haben, Kinder und Jugendliche zum zukunftsfähigen Denken und Handeln zu befähigen. Zukunftsfähig bedeutet, komplexe Prozesse des heutigen gesellschaftlichen Lebens zu überblicken und so zu bearbeiten, dass ein konstruktives Engagement für eine zukunftsfähige Entwicklung möglich ist. Wer komplexe gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse durchschauen will, benötigt die Mittel, Komplexität zu erfassen und damit umzugehen. Eine wesentliche Schwierigkeit für den Transfer von systemischem Denken in den Unterricht liegt in der Unterschiedlichkeit von Lernsituationen und Anwendungskontexten. Während reale Probleme häufig komplex, schlecht definiert und in einen konkreten situativen Kontext eingebettet sind, findet Lernen überwiegend anhand von Aufgaben statt, die durch geringe Komplexität, eindeutige Lösungen und ausgearbeitete Problemdefinitionen gekennzeichnet sind.
Systemisches Denken kann ohne zusätzlichen Stoffdruck Eingang in den schulischen Unterricht finden, wenn der Unterricht entsprechend organisiert wird (Frischknecht et al., 2008). Systemisches Denken stellt keinen neuen Inhalt dar, der zusätzlich zu den bereits vorhandenen Inhalten der Rahmenlehrpläne in die Schule und den Unterricht eingebracht werden müsste. Vielmehr vermittelt systemisches Denken eine andere Sichtweise auf die Welt und Werkzeuge zur Lösung komplexer Probleme. Diese Sichtweise und Methoden können auf die klassischen Lehrplanthemen angewendet werden.
Systemisch denkende Lehrkräfte eröffnen ihrer Schule die Möglichkeit, einen projektorientierten und/oder fächerübergreifenden Unterricht zu gestalten. Zum Beispiel kann der Biologieunterricht durch Simulationsmodelle ergänzt werden, eine gesellschaftswissenschaftliche Fragestellung durch systemische Sichtweisen angereichert werden, im Deutschunterricht systemische Geschichten behandelt oder im Wirtschafts- und Ethikunterricht Serious Games zur Tragödie der Gemeingüter gespielt werden – um nur einige Beispiele zu nennen.
Literatur:
Bertschy, F., Gingins, F., Künzli, C., Di Giulio, A., Kaufmann-Hayoz, R. (2007). Schlussbericht zum Expertenmandat der EDK: Nachhaltige Entwicklung in der Grundschulausbildung – Begriffserklärung und Adaption, Bern.
Bollmann-Zuberbühler, B., Frischknecht-Tobler, U., Kunz, P., Nagel, U., Hamiti, S. (2010). Systemdenken fördern. Systemtraining und Unterrichtsreihen zum vernetzten Denken, Bern.
Künzli, C., Bertschy, F., de Haan, G., Plesse, M. (2008). Zukunft gestalten lernen durch Bildung für nachhaltige Entwicklung. Didaktischer Leitfaden zur Veränderung des Unterrichts in der Primarschule, Programm Transfer 21, Berlin.
Kyburz-Graber, R., Nagel, U., Odermatt, F. (2010). Handeln statt hoffen. Materialien zur Bildung für nachhaltige Entwicklung für die Sekundarstufe I, Zug: Klett & Balmer.
UNESCO (2017). Education for Sustainable Development Goals. Learning Objectives. ISBN 978-92-3-100209-0. Published in 2017 by the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, 7, place de Fontenoy, 75352 Paris 07 SP, France.