Indirekte Effekte der Bti-basierten Stechmückenbekämpfung auf das Nahrungsnetz in temporären Gewässer (Moscofee)

Projektbeschreibung

Mit seiner einzigartigen und schützenswerten Tier- und Pflanzenwelt zählt der Oberrhein zu den 30 „Hotspots der Biodiversität“ in Deutschland. Als Auenlandschaften werden die Gebiete um den Rhein im Sommer regelmäßig überflutet und bieten damit einen national bedeutenden Lebensraum für bedrohte Arten von Amphibien, Vögeln, Fledermäusen und Libellen. Zum Schutz dieser wertvollen Landschaften wurde ein Großteil dieser Gebiete in  Schutzgebiete von nationalem und europäischem Recht eingegliedert (Vogelschutzgebiete, Naturschutzgebiete, Natura 2000 Gebiete). Eine der wichtigsten Nahrungsgrundlagen für viele der bedrohten Arten sind Insekten, allen voran Mücken (Nematocera). Mücken haben einen Entwicklungszyklus, der sich durch eine aquatische Larvenphase im Gewässer und ein terrestrisches Leben als Images auszeichnet. Die großen Mengen an periodisch auftretenden geschlüpften Insekten, wie Stechmücken, stellen nicht nur eine wertvolle Nahrungsgrundlage für aquatische und terrestrische Prädatoren, sondern auch eine Belästigung für die betroffene Bevölkerung dar. In vielen Ländern der Welt wird daher eine Stechmückenbekämpfung in temporären Feuchtgebieten durchgeführt. Zur biologischen Bekämpfung wird das bodenlebende Bakterium Bacillus thuringiensis var. israelensis (Bti) eingesetzt, das toxisch auf die Larven des Zielorganismus Stechmücke (Culicidae) wirkt.

In Deutschland wird Bti seit 1976 vor allem in Überschwemmungsgebieten entlang des Oberrheins zur Kontrolle von Überschwemmungsmücken verwendet. Ursprünglich wurde Bti in der Stechmückenbekämpfung in einem Bereich zwischen Speyer und Karlsruhe eingesetzt, wobei sich das behandelte Gebiet im Laufe der Jahre auf 350 km entlang des Rheins ausdehnte. Bis zu 12-mal jährlich können diese Gebiete mit Bti behandelt werden, was jedes Mal zu einer über 90%igen Reduktion der Stechmückenlarvenpopulation führt. Seit September 2013 gilt die neue deutsche Biozid-Verordnung (528/2012) und Bacillus thuringiensis subsp. israelensis Serotpye H14, Strain AM65-52 befindet sich als registrierter Alt-Wirkstoff erneut in der Überprüfung auf Risiken gegenüber Mensch, Tier und Umwelt.

Bti gilt aufgrund der hohen Selektivität als umweltfreundliche Maßnahme im Vergleich zum Einsatz von Ölen oder anderen Insektiziden, da bei empfohlener Dosis nicht mit direkten Effekten auf Organismengruppen außerhalb der Mücken zu rechnen ist. Die Wirkungsweise von Bti ist auch auf die Familie der Zuckmücken (Chironomidae) sehr ähnlich, wobei Zuckmücken in Deutschland kein Zielorganismus der Bekämpfung sind. Stech- und vor allem Zuckmückenlarven stellen in den Ökosystemen der Auen- und Feuchtgebiete eine wichtige Nahrungsgrundlage für terrestrische, aber auch weniger mobile aquatische Prädatoren dar. Der Einsatz von Bti kann daher, einhergehend mit Veränderungen im Nahrungsnetz, zu indirekten Effekten auf Nicht-Zielorganismen wie Fledermäuse, Libellen, Vögel oder Molche führen. Neueste Erkenntnisse aus der Camargue in Frankreich zeigten erstmals, dass Nicht-Zielorganismen wie Zuckmücken und auch Mehlschwalben negativ von der Bti-Anwendung beeinflusst wurden, weshalb die Umweltverträglichkeit der Bti-Behandlung nun zunehmend hinterfragt wird. Die bisherigen Erkenntnisse zur Umweltbewertung von Bti, vor allem im Hinblick auf indirekte Effekte, sind bisher nur auf einige wenige Langzeitstudien begründet, die je nach Untersuchungsgebiet ein unterschiedliches Bild zeigen. An der Universität Koblenz-Landau wurden bereits im Jahr 2013 mehrere Abschlussarbeiten zu diesem Thema durchgeführt, deren Ergebnisse erste Indizien lieferten und in einem Abschlussbericht zusammenfassend dargestellt sind (Bericht PDF).

Unser Forschungsprojekt verfolgt einen interdisziplinären Ansatz und setzt sich aus drei wesentlichen Teilen zusammen: einer Mesokosmenstudie, einer Feldstudie und einer sozio-ökonomischen Bewertung innerhalb der betroffenen Bevölkerung unter Anwendung von kontingenten Bewertungsmethoden. Mit Hilfe von Mesokosmosexperimenten wird der Einfluss von Bti auf die gesamte Nahrungszusammensetzung für Prädatoren untersucht. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den Nicht-Zielorganismus Zuckmücke gelegt. Ein weiteres Ziel des Projektes ist es in einer Freilandstudie in langjährig behandelten Gebieten entlang des Oberrheins indirekte Auswirkungen der langjährigen Bti-Behandlung auf die Wirbellosengemeinschaft und die Entwicklung und das Wachstum von Molchen in allen Entwicklungsstadien zu untersuchen. Um dem wachsenden Umweltbewusstsein der Bevölkerung gerecht zu werden wird der sozioökonomische Nutzen der Stechmückenbekämpfung am Oberrhein vor dem Hintergrund potenzieller Risiken für die Biodiversität ermittelt.

Im Rahmen des Forschungsprojekts werden zwei Promotionsvorhaben durchgeführt. Gefördert durch die Forschungsinitiative Rheinland-Pfalz wird sich eine Promotion als Teil des Moscofee Projektes im Forschungsschwerpunktes AufLand interdisziplinär mit der direkten und indirekten Beeinträchtigung der Invertebratenfauna und somit vorrangig mit Biodiversität und Ökosystemfunktionen befassen. Die zweite Promotion befasst sich schwerpunktmäßig mit der indirekten Beeinflussung von Stech- und Zuckmückenprädatoren. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen dabei Molche, die sich während ihrer aquatischen Phase von Mückenlarven ernähren. Die gewonnenen Daten aus den Promotionsvorhaben werden genutzt, um den Wert der Stechmückenbekämpfung für die betroffene Bevölkerung valide zu evaluieren. Mit diesen Erkenntnissen kann die Akzeptanz und die Entwicklung eines naturschutzkonformen Konzeptes der Stechmückenbekämpfung abgeschätzt und gefördert werden. Die zweite Promotion wird von der Deutschen Bundesstiftung für Umwelt im Rahmen des DBU-Projektes "Entwicklung eines naturschutzkonformen Konzeptes zur Stechmückenbekämpfung am Oberrhein" (AZ 32608/01-33) finanziert.